Dr. Wolfgang Leupold

Prüfer für russische und sowjetische Philatelie

Vor 100 Jahren erste Luftpost- beförderung mit DERULUFT von Moskau nach Königsberg

Heute spricht man von einer Win-win-Situation, wenn ein Vertrag für beide Partner nur Vorteile bringt. So verhält es sich wohl mit der Gründung der DERULUFT. Deutschland war nach dem 1. Weltkrieg geächtet und durch den Versailler Vertrag außenpolitisch isoliert. Die junge Sowjetunion hatte sich gerade der ausländischen Intervention erfolgreich widersetzt, der Westen hatte Angst vor der „Weltrevolution“ und boykotierte Russland.

Im Ergebnis der im Herbst 1920 begonnenen Untersuchungen einer speziell eingesetzten Kommission unterschrieb Lenin am 8. September 1921 den Beschluss des Rates der Volkskommissare, in dem die Organisation einer Luftverbindung zwischen Moskau und Deutschland als dringen anerkannt wird. Das Volkskommissariate für Auswärtige Angelegenheiten der RSFSR, das Volkskommissariat für das Post und Telegraphenwesen und die Hauptverwaltung der Luftflotte wurden beauftragt, mit deutschen Firmen über die Gründung einer gemischten russisch-deutschen Gesellschaft zur Organisation und zum Betrieb der Luftverbindung zwischen Moskau und Deutschland zu verhandeln.

Von deutscher Seite war das Interesse an einer solchen Flugverbindung ebenfalls groß, wobei man schon die Erweiterung in den Fernen Osten im Auge hatte. So kam es recht schnell zu Gesprächen zwischen Vertretern der Deutschen Luft Reederei und der russischen Handelsvertretung in Berlin.

Die offizielle Gründung der Deutsch–Russische Luftverkehrsgesellschaft DERULUFT erfolgte am 24. November 1921. An ihr waren die AERO–Union deutscherseits und die Handelsvertretung der RSFSR in Berlin für die russische Regierung mit je 50 % des Gesellschaftskapitals von 5 Millionen Reichsmark beteiligt.

Damit wurden die Beschränkungen des Versailler Vertrags umgangen und ein erstes Bindeglied in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Annäherung zwischen Deutschland und der jungen Sowjetunion geschaffen. Die DERULUFT erhielt von der Sowjetregierung  zunächst für 5 Jahre das ausschließliche Recht zur Beförderung von Post, Fracht  und Passagieren zwischen Russland und Deutschland. Vom Stammkapital der Gesellschaft wurden die ersten 8 robusten Flugzeuge vom Typ Fokker F 3 angeschafft.

Die ursprüngliche Streckenplanung von Berlin über Königsberg und Smolensk nach Moskau scheiterte an der nicht erteilten Genehmigung von Überflugsrechten durch Polen. Die so erheblich verlängerte Flugstrecke wäre an einem Tag nicht mehr zu bewältigen gewesen, was zum Entschluss führte, zunächst nur die Strecke Königsberg-Smolensk-Moskau zu befliegen.

Am Vorabend des 1. Mai 1922 landete dann das erste DERULUFT-Flugzeug von Königsberg kommend auf dem Flugfeld Moskau-Chodynka. In zeitgenössischen Berichten heißt es, daß das große Fokker-Verkehrsfugzeug RR 1 mit 360 PS-Motor für die Strecke Königsberg-Moskau (1160 km) trotz ungünstiger Witterungsverhältnisse nach je einer Zwischenlandung in Kowno und Smolensk insgesamt 9 Flugstunden benötigte.

Am 1. Mai morgens 9.30 Uhr fand die offizielle Begrüßung statt durch hochrangige Vertreter des Russischen Auswärtigen Amtes und weitere Ehrengäste. Mittag 12 Uhr soll das Flugzeug zu einem Paradeflug über die Innenstadt Moskaus gestartet sein, wo auf dem Roten Platz gerade die große Maifeier stattfand. Am Abend des 1. Mai landete das zweite DERULUFT-Flugzeug auf dem Moskauer Flugfeld im Beisein vieler Offizieller und einer großen Menschenmengen. Mit Jubel und allgemeiner Bewunderung wurde so der deutsch-russische Luftverkehr eröffnet.

Das erste Kurierflugzeug mit Post soll am Vormittag des 3. Mai in Moskau gestartet und nach Zwischenlandung in Smolensk und Kowno abends 5.30 Uhr in Königsberg gelandet sein. In Königsberg wurde die Post planmäßig vom Flugplatz zum Bahnhof befördert, wo täglich 19.45 Uhr ein Zug Richtung Berlin abfuhr. Am nächsten Tag, den 4. Mai hätte man so in Berlin schon die Moskauer Zeitung vom 3. Mai lesen können.

Im Mai wurde nur Kurierpost der Botschaft der RSFSR befördert, wovon es keine postalischen Zeugnisse gibt.

Abb. 1: Einer von bisher 5 bekannten Briefen des Fluges der DERULUFT am 4. Juni 1922 von Moskau nach Königsberg, mit dem erstmals Privatpost befördert wurde. Die aus sechs 10-Kopeken-Marken bestehende Frankatur entspricht umgerechnet 600.000 inflationären Rubel, je 200.000 für den Brief, Einschreiben und Luftpostzuschlag.

Der erste Postflug, bei dem die Beförderung von Privatpost erlaubt war, erfolgte am 4. Juni 1922 von Moskau nach Königsberg. Markant für den Erstflug ist der zweizeilige Flugbestätigungsstempel „Mit Luftpost befördert. / Königsberg (Pr.) 1.“ und der kleine rechteckige Stempel der deutschen Militärischen Post Kontrolle (M. P. K. / D.).  Laut Flugplan erfolgten die Flüge in beide Richtungen anfangs zweimal wöchentlich, ab Moskau sonntags und mittwochs. Die mir vorliegenden Belege zeugen davon, daß die Flüge im Monat Juni fast ausnahmslos planmäßig erfolgten. Teilweise erfolgte die Beförderung noch schneller als vorgesehen. Abb. 2 zeigt beispielsweise einen Brief vom 2. Postflug am Mittwoch, den 7. Juni 22, der am 6. Juni auf dem Moskauer Hauptpostamt aufgegeben wurde. Der Brief wurde am 7. Juni nach Ankunft der Maschine aus Moskau in Königsberg nicht zum Abendzug nach Berlin gebracht, sondern auf schnellstem Wege einem Flugzeug der täglich verkehrenden Fluglinie Riga – Berlin der Gesellschaft Lloyd-Ostflug und Junkers-Luftverkehr übergeben. Die Ankunft in Berlin bestätigt der rote Stempel „Mit Luftpost befördert / Briefpostamt Berlin“ und der Eingangsstempel Berlin C2 vom 8. Juni 1922.

Abb. 2. Rückseite eines E-Briefes, aufgegeben am 6.6.22 in Moskau – befördert mit dem 2. Postflug der DERULUFT am 7.6. nach Königsberg – hier Übergabe zur Fluglinie Riga-Berlin – Ankunft Berlin am 8.6.22.

Tatsächlich mit DERULUFT beförderte Belege müssen als Flugnachweis einen der folgenden drei Flugbestätigungsstempel tragen:

Königsberg                    

  

Berlin C2                        

                             

Briefpostamt Berlin        

Die im Juni und Juli 1922 auf Luftpostbriefen vorkommenden Stempel der deutschen Postüberwachung sind folgende: 

M.P.K. / D                                                               

Postüberwachungsstelle IX Berlin W 8  –  rund     

   

Postüberwachungsstelle Berlin W 8  –  oval     

Ab Juli 1922 wurde der Hinweisstempel

auf dem Moskauer Hauptpostamt genutzt. Leider findet man diesen Stempel auch auf vielen Briefen, die tatsächlich nicht mit Luftpost befördert wurden.

Inflationsbedingt stieg der Luftpostzuschlag am 1. Juli 1922 auf 450.000 Rubel. Ab Juli findet man vereinzelt auch DERULUFT-Briefe, die in Petrograd aufgegeben wurden. Anfangs tragen sie noch einen mit Schreibmaschine geschriebenen provisorischen lila Luftpost-Klebezettel „Envoye par la poste aerienne“ (Abb. 3).    

Abb. 3. Typische Frankatur der DERULUFT-Briefe vom Sommer 1922 mit alten zaristischen Freimarken bzw. deren Nachdrucken portogerecht über 1.350.000 Rubel (inflationsbedingt wertete 1 Rubel als 10.000 Rubel), je 450.000 Rubel für Brief, E-Zuschlag und Lupo-Zuschlag.

Bei einer Betrachtung des Geburtsjahres der DERULUFT darf man die so genannten Konsularmarken nicht vergessen, die im Juli 1922 von der Berliner Botschaft der RSFSR verausgabt wurden. Waren sie doch für den Nachweis der Bezahlung dienstlicher Korrespondenz von Einrichtungen der RSFSR in Deutschland bestimmt, die mit DERULUFT nach Moskau gesendet werden sollten.

Man besann sich auf die in der Botschaft vorhandenen Konsulatsgebührenmarken zu 10 und 50 Kopeken, 2,25 und 3 Rubel aus der Zarenzeit und versah sie mit dreizeiligen Aufdrucken. Erste Zeile – „Воздушная почта“ (Luftpost), zweite Zeile – die Landesbezeichnung „P.C.Ф.C.P.“, dritte Zeile – die Nominale, zum Beispiel „12 герм. марoк“ (12 deutsche Mark). In Berlin wurden im Juli 1922 fünf  Marken mit den Nominalen 12 M, 24 M, 120 M, 600 M und 1200 M in Form von 25er Bogen hergestellt, wie Abb. 4 zeigt. Die Wertstufen sind abgeleitet von den Postgebühren der deutschen Reichspost, wonach seit dem 1.5.1922 für einen Luftpostbrief in die Sowjetunion 12 Mark (4 M Briefporto + 8 M Luftpostzuschlag) zu entrichten waren.

Abb. 4: Kompletter Bogen der 24-Mark-Konsularmarke (MiNr. 2)

In jedem Bogen sind drei verschiedene Aufdrucktypen (und zwei Untertypen) zu finden, die besonders an der Form des  Buchstaben „C“ zu unterscheiden sind. Für die Herstellung der Marken wurde im Prinzip nur eine Druckplatte verwendet, bei der für unterschiedliche Nominale nur die Ziffern der dritten Zeile gewechselt wurden. Deshalb haben die unterschiedlichen Typen bei allen Marken die gleiche Bogen-position. Die Buchstaben und Ziffern aller Typen weisen außerdem meist kleine Beschädigungen oder Setzabweichungen auf, die es Spezialisten ermöglichen, fast für jede einzelne Marke die Bogenposition zu bestimmen.

Auch wenn die meisten der in Sammlerhand befindlichen Konsularmarken erst in einer Nachauflage für Sammlerzwecke hergestellt wurden, werden sie weltweit von Philatelisten gesucht. Eine große Rarität, von der sich viele Aufdruckfälschungen in Sammleralben befinden, ist der Aufdruck auf der 50 Kopeken-Kopeken-Marke, der so genannte „Poltinik“, von dem nur zwei Bogen zu 25 Stück gedruckt wurden.

Abb. 5. Sehr seltene Konsularmarke MiNr. 6 („Poltinik“) mit Aufdrucktype II, Bogenposition 14, die nur zweimal im Bogen vorkommt.

DERULUFT – Belege aus Deutschland in die Sowjetunion sind recht selten und 1922 fast ausschließlich aus den Monaten September und Oktober bekannt.

Abb. 6. Der Brief wurde am 9.10.22 in Berlin aufgegeben und an das Luftpostamt C 2 weiter geleitet. Mit dem Nachtzug erreichte der Brief am nächsten Morgen Königsberg. Am Dienstag, den 10.10. flog die DERULUFT- Maschine morgens 10 Uhr (OEZ) ab und erreichte nach Zwischenlandung in Smolensk abends 19.45 Uhr (OEZ) Moskau (Stempel 11.10.22)

Witterungsbedingt sollte der Flugverkehr der DERULUFT ab 1.11.1922 eingestellt werden. Im November fanden aber doch noch einige Flüge statt, die gewöhnlich als Versuchsflüge bezeichnet werden. Sie sind für Freunde der sowjetischen Luftpost von besonderer Bedeutung, fällt doch in diesen Zeitraum die Ausgabe der ersten Luftpostmarke. Anläßlich des 5. Jahrestages der Oktoberrevolution erschien eine Jubiläumsausgabe aus fünf Briefmarken von 5 bis 45 Rubel (MiNr. 195-199) mit einem Ergänzungswert zu 45 Rubel in grün mit rotem Aufdruck eines Flugzeuges. Diese (erste) sowjetrussische Luftpostmarke (MiNr. 200) wurde ab dem 8. November 1922, also nach Einstellung des regulären Flugverkehrs der DERULUFT, nur am Moskauer Hauptpostamt verkauft und sollte anfänglich nur für die Bezahlung des Luftpostzuschlages genutzt werden.

Abb. 7. Luftpost-Einschreibbrief vom 21. November 1922 nach Berlin (30.11.), zur Begleichung des Luftpostzuschlages frankiert mit der grünen Luftpostmarke zu 45 Rubel. Der Brief trägt den roten Königsberger Flugbestätigungsstempel als eindeutigen Flugnachweis.

Tatsächlich mit DERULUFT beförderte Briefe mit dieser Marke sind extrem selten. Eher findet man gelegentlich Briefe, die auf dem Moskauer Hauptpostamt zwar als Luftpostbriefe frankiert und aufgegeben wurden, letztendlich aber mit der Eisenbahn befördert wurden. Wie in Abb. 8 tragen diese Briefe auch den handschriftlichen Hinweis „Воздушная почта“ (Luftpost) und den blauen rechteckigen Stempel „Mit Luftpost“, nur der Flugnachweis fehlt eben.

Abb. 8. Zur Beförderung mit Luftpost vorbereiteter Einschreibbrief von Moskau 24.11.1922 nach Leipzig (1.12.), der wegen Einstellung des regulären Flugbetriebs nur mit der Eisenbahn befördert wurde.

Bedeutsam an dem Brief der Abb. 8 ist noch die Tatsache, daß er mit einem Sechserblock aus der rechten unteren Bogenecke frankiert ist. Diese beinhaltet den markanten Plattenfehler auf Feld 45 „beschädigtes Höhenruder (MiNr. 200 I).

Nach der Flugunterbrechung in den Wintermonaten wurde im Mai 1923 – wie in den Folgejahren – der reguläre Flugbetrieb der DERULUFT wieder aufgenommen. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, daß man als Luftpostsammler die vielen interessanten Änderungen des Flugplans, der veränderten Kennzeichnung und Abstempelungen auf den Belegen, die rasanten Tarifveränderungen der Inflationszeit usw. der Geburtsjahre 1922 und 1923 der DERULUFT ausschließlich mit attraktiven Bedarfsbelegen dieser Zeit belegen kann.

Attraktive Bedarfskarte eines deutschen Besuchers der ersten Allunionsausstellung für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe mit dem ersten Sonderstempel der UdSSR, portogerecht mit 27 Rubel des Jahres 1923 frankiert (die 200-Rubel-Aufdruckmarke galt hier nur noch 2 Rubel).

Im Sommer 1926 wurde endlich das ursprüngliche Ziel der DERULUFT verwirklicht und eine durchgängige Flugverbindung zwischen Königsberg und Berlin eingerichtet.