Dr. Wolfgang Leupold

Prüfer für russische und sowjetische Philatelie

Neuentdeckung: 250 Rubel Marke im 50er Bogen ohne Zwischensteg

Neuentdeckung: 250 Rubel Marke im 50er Bogen ohne Zwischensteg

Am 10. August 1921 wurden die ersten Freimarken der RSFSR zu 1- bis 40 Rubel verausgabt (Mi.-Nr. 151 – 155). Der Bürgerkrieg war noch nicht völlig beendet, Trockenheit und Missernten führten zu Hungersnöten, die Wirtschaft lag am Boden. Wie in anderen Ländern Europas verstärkte sich die Inflation. Deshalb wurde bereits Ende August 1921 begonnen, neue Freimarken mit höheren Nominalen zu verausgaben.

Die neuen Marken mit Wertstufen zwischen 100- und 1000 Rubel wiederholen zum Teil die Markenmotive der 1- bis 5 Rubel-Marken.  Deshalb ordnen die russischen Kataloge diese Marken der 1. Freimarkenserie zu, während wir im „Micheldeutsch“ diese Marken mit den Michel-Nummern 156 – 161 als eine selbständige zweite Freimarkenausgabe der RSFSR eingeordnet haben.

Die Marken zu 250 Rubel und 1000 Rubel haben die weitaus größten Auflagen mit rund 79- bzw. 54 Millionen Stück. Nicht nur wegen der vorherrschenden Mangelwirtschaft sondern auch wegen des langen Zeitraums, während dessen die Marken in verschiedenen Auflagen hergestellt wurden, finden wir besonders von diesen beiden Marken eine große Zahl verschiedener Papiersorten und Farbvarianten sowie eine größere Zahl unterschiedlicher Druckbogen.

In den Beständen der Sammler trifft man die 250- und 1000 Rubel-Marke meist in Form von 50er Schalterbogen mit zwei 25er Blöcken (5 x 5), die durch Zwischenstege getrennt sind. Die Breite dieser Zwischenstege variiert zwischen 11 und 25 mm.

In Abbildung 1 zeigen wir eine Auswahl verschiedener Zwischenstegpaare der 250 Rubel-Marke, wobei eine konkrete Stegbreite meist einer oder zwei Papiersorte zuordenbar ist.

Abb. 1: Varianten der 250 Rubel-Marke mit verschiedenen Zwischenstegen.

Seit längerer Zeit sind von der 1000 Rubel-Marke auch Schalterbogen zu 50 Marken (10 x 5) ohne Zwischensteg bekannt.

Erstmals sah ich einen solchen Bogen in (1) abgebildet auf Seite 117, katalogisiert mit gewöhnlichem Papier und wagerechter Papierstruktur. Abbildung 2 zeigt einen von ganz wenigen Briefen mit einem derartigen kompletten Bogen. Dieser Bogen ist auf gewöhnlichem Papier mit senkrechter Papierstruktur, das Fomin (2) mit „KS“ bezeichnet.

Abb. 2: Einschreibbrief, am 10.4.22 von ANDREAPOL Pskov Gub. nach Montreal / Kanada portogerecht mit 60.000 Rubel frankiert. Neben dem 50er Bogen ohne  Zwischensteg befinden sich weitere 10 Stück rote 1000 Rubel-Marken auf der Rückseite des Briefumschlags.

Von anderen Marken dieser Freimarkenserie wurde bisher noch nie ein ähnlicher Bogen gezeigt, obwohl es an verschiedenen Stellen der philatelistischen Literatur Hinweise darauf gibt. So steht im Tschutschin–Katalog von 1924 (3) auf Seite 114, dass von der 250 Rubel-Marke Bogen vorkommen mit waagerechten 10er Streifen ohne Zwischensteg. Fomin (2) schreibt im Jahre 1997 auf Seite 151 in einer Fußnote, daß in der sowjetischen philatelistischen Presse berichtet wurde, dass die 250 Rubel-Marke in einem 10er Streifen ohne Steg nach der 5. Marke gesehen wurde. Er zweifelte aber die tatsächliche Existenz dieser Bogenart an. Im ROSSICA-Spezialkatalog von 1999 (1) und im RSFSR-Spezialkatalog von Standart Collektion des Jahres 2004 (4) wird sogar von der Existenz von Bogen zu 100 Marken (10 x 10) ohne Zwischenstegen der 250 Rubel-Marke gesprochen. Keiner der genannten Autoren hat aber bisher einen sichtbaren Bewies seiner Aussagen vorgelegt.

Vor geraumer Zeit konnte ich nun einen Brief erwerben (Abb. 3, 4), der beweist, daß die 250 Rubel-Marke tatsächlich auch in Form von 50er Schalterbögen ohne Zwischensteg gedruckt wurde.

Abb. 3: Briefrückseite mit einem 30er Bogenteil der 250 Rubel-Marke mit Aufdruck „100.000 РУБ.“ ohne Zwischensteg zwischen der 5. und 6. Markenreihe.

Abb. 4: Vorderseite des Einschreibbriefes, der am 2.1.23 auf dem Kiewer Bahnhofspostamt aufgegeben wurde und am 11.1.23 beim Adressaten Dr. Brender / Centralhilfskomite in Berlin eintraf.

Die Marken auf dem Brief sind auf dem gleichen gewöhnlichen Papier mit glattem gelblich glänzendem Gummi gedruckt, wie die Marken zu 1 – 5 Rubel der ersten Freimarkenausgabe. Der Unterschied liegt nur darin, dass das Papier der Marken zu 1 – 5 Rubel waagerechte Papierstruktur, die in Abb. 3 / 4 gezeigten Bogenteile aber senkrechte Papierstruktur aufweisen. Fomin (2) bezeichnet dieses Papier mit „KS“ und meint, dass diese stehende Struktur daher rührt, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt entweder die Papierbogen um 90° gedreht in die Presse eingeführt wurden oder man die Lage der Marken auf den lithografischen Steinen änderte. Dieser Annahme folgend ist das Papier KS jedenfalls einer späteren Auflage zuzuordnen (interessanter Weise ist der Bogen der 1000 Rubel-Marke ohne Zwischensteg von Abb. 2 auch auf diesem Papier).

Auf dem vorliegenden Brief sind nun nicht die ursprünglichen 250 Rubel-Marken sondern die im Herbst 1922 mit „100.000 РУБ.“ überdruckten Marken verklebt. Es könnte also durchaus sein, dass die 10er Streifen ohne Zwischensteg nur in der Überdruckvariante vorkommen. Möglicherweise wurden auch 250 Rubel-Marken speziell für die  Überdruckausgabe nochmals nachgedruckt.

Mittlerweile ist es mir gelungen, einen zweiten Brief zu erwerben, der ebenfalls mit großen Einheiten der mit „100.000 РУБ.“ überdruckten Marken ohne Zwischensteg frankiert ist (Abb. 5, 6) und die Marken wurden ebenfalls auf Papier „KS“ gedruckt. (Übrigens ist die Papiervariante  „KS“ laut Fomin die seltenste Papiervariante dieser Überdruckmarken.)

Abb. 5: Briefrückseite mit zwei 30er Bogenteilen der 250 Rubel-Marke mit Aufdruck „100.000 РУБ.“ ohne den üblichen Zwischensteg zwischen der 5. und 6. Markenreihe.

Abb. 5.1: Erster 30er Bogenteilen auf der Briefrückseite

Abb.5.2: Zweiter 30er Bogenteilen auf der Briefrückseite

Abb. 6: Vorderseite des Einschreibbriefes, der am 25.12.22 in Berditschev aufgegeben wurde und am 6.1.23 beim Adressaten Dr. Brender / Centralhilfskomite in Berlin eintraf.

Betrachten wir noch ein Detail der Bogen ohne den üblichen Zwischensteg etwas genauer: Der Bogenteil in Abb. 5.1 trägt am oberen Rand mittig zwischen der 5. und 6. senkrechten Markenreihe ein nach oben weisendes dreieckiges Stecherzeichen. Augenfällig ist auch, daß die rechte Marke von der 6. Markenreihe deutlich tiefer sitzt, als die linke Marke von der 5. Markenreihe. So gewinnt man den Eindruck, als ob neben den linken 25er Markenblock ein rechter 25er Markenblock nahe herangerückt wurde, wodurch der übliche breite Zwischensteg vermieden wird.

(Detail aus Abb. 5.2)

Der Bogenteil in Abb. 3 trägt am unteren Rand mittig zwischen der 5. und 6. senkrechten Markenreihe ein nach unten weisendes dreieckiges Stecherzeichen und rechts daneben die Plattennummer 1.

(Detail aus Abb. 3)

Diese Plattennummer findet man öfters auf gewöhnlichen mit „100.000 РУБ.“ überdruckten Bogen, aber meist in der Mitte zwischen der 5. und 6. Markenreihe.  Es scheint, als ob bei den Bogen ohne Zwischensteg (Abb. 3) einfach der rechte 25er Markenblock der Druckplatte nach links gerückt wurde, wodurch der übliche breite Zwischensteg „verschwindet“. Beide Detailbetrachtungen führen also zu dem gleichen Ergebnis.

Obige Abhandlung beweist, dass auch fast 100 Jahre nach einer Markenausgabe noch substanzielle Entdeckungen möglich sind und das macht unser Sammelgebiet so interessant!

Literatur:

(1) ROSSICA. Specialized Catalog of the RSFSR 1918 – 1923. Section 10. 1999

(2) Fomin E.: Briefmarken Russlands 1908 – 1923. Katalog- Handbuch. München 1997.

(3) Каталог почтовых марок бывшей Российской империи, РСФСР и СССР, выпуск II, Moсква, 1924 г.

(4) Специализированный каталог почтовых марок, том 4. РСФСР, 1918-1923, изд. 2, Стандарт-Коллекция, 2004, с, 20.