Prüfer für russische und sowjetische Philatelie
Katharina II. – vor wenigen Monaten zur Zarin gekrönt, erließ im Juli 1763 das so genannte „Einladungsmanifest“, mit dem sie ihre deutschen Landsleute einlud, große fast menschenleere Landstriche am Ufer der Wolga zu besiedeln. Den Einwanderern wurde eine Reihe Privilegien in Aussicht gestellt, 30 Hektar Land zum ewigen Beitz, Steuerfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, Glaubensfreiheit u.a.

In Gold einlösbares „Kreditbillett“ der russischen Staatsbank über 100 Rubel aus dem Jahre 1910 mit Bildnis Katharinas der Großen.
Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) hatten die Menschen besonders in Hessen und Rheinland unter den Kriegsfolgen zu leiden und litten Hunger. So bewegte die Hoffnung auf ein besseres Leben etwa 27.000 Deutsche in den Jahre 1763-1767 ihre Heimat zu verlassen und dem Ruf der Zarin zu folgen.
Die Beschäftigung mit der Geschichte dieser Menschen und derer, die ihnen in den nächsten Jahrzehnten noch folgten, hat mich so fasziniert, daß ich in den letzten 15 Jahren hunderte zeitgenössischer Berichte las und viele Originalbelege aus dieser Zeit zusammen trug. Im Ergebnis entstand ein philatelistisches Ausstellungsexponat für die Klasse Open Philately mit dem Titel „Deutsche Auswanderer nach Russland –von Katharina der Großen bis Joseph Stalin“. Nun ergab sich die Chance, einen Brief aus der Handschrift der Titelheldin zu erstehen, der inhaltlich mit der Geschichte der deutschen Auswanderer in Verbindung steht.

Eigenhändig geschriebener Brief vom 25. August 1773, in dem Katharina II. ihren Berater Generalleutnant von Bauer über laufende und geplante Truppenverstärkungen aus Polen und Flottenbewegungen in der Umgebung des Asowschen- und des Mittelmeers informiert. Mit Unterschrift „Caterina“.
Textauszug aus den Brief: Herr Generalleutnant mit diesem briefe schicke ich ihnen eine liste so nach denen letzten reporten sowohl des Feldmarschalls als auch des Fürsten Dolgorowski gemacht ist, sie werden aus selbiger auch die Asowsche escadre und die Flotte im Archipelagio finden nur habe ich noch zuzusetzen daß dem Feldmarschalle noch sechs Regimenter aus Polen geschickt seynd und das die Mittelländische See noch vier Schiffe von der linie und zwey Fregatten wird zu sehen kriegen … Caterina
Die im Brief geschilderten Aktivitäten trugen letztendlich mit dazu bei, den laufenden Krieg mit dem Osmanischen Reich siegreich zu gestalten. Im Frieden von Kütschik 1774 werden die osmanischen Gebiet der Südukraine Russland zugeschrieben und das Krim-Khanat formell unabhängig (1783 endgültig russisch). Bevor wir in diese Geschichte fortfahren, sehen wir uns noch einen anderen Brief an aus der Handschrift des Adressaten des Briefes der Zarin.


Ausschnitt eines handschriftlichen Briefs des Generalleutnants Friedrich Wilhelm von Bauer aus St. Petersburg 1772 an einen Freund in Deutschland mit dem er ihm Unterstützung zusagt, seinen deutschen Günstlingen in der russischen Armee eine Anstellung zu besorgen.
Textauszug: Was Ihren jungen Pfältzer anbetrifft, so will ich herzlich gern alles für ihn tun was in meinem Vermögen ist, da es aber sehr ganz viele Schwierigkeiten verursachen wird, um ihn gleich als Offizier zu employieren, so rate ich ihm wohlmeinend sich mit einem Offiziers Patent in Deutschland zu versehen. Das übrige will ich schon besorgen. Wenn ich nicht in Petersburg bin, so kann er sich nur in meinem Haus melden, wo ich seinetwegen die gehörige Verfügung treffen werde. Und was seinen Bruder den Mechanicum betrifft, so will ich mich beim Artillerie Corps erkundigen, auf welche Art und Weise er am besten zu gebrauchen ist. …
Friedrich Wilhelm von Bauer, ehemaliger preußischer Freihusarenführer im 7-jähringen Krieg, trat wie viele deutsche Spezialisten in den Dienst der russischen Zarin ein. Er war an erfolgreichen Schlachten im Russisch-Türkischen Krieg beteiligt. 1772 wurde er zum Generalquartiermeister ernannt und 1773 zum Generalleutnant und General Ingenieur. Dementsprechend die Anrede in Katharinas Brief „Herr Generalleutnant …“, deren unentbehrlicher Berater er bis zu seinem Tode im Jahr 1783 war.
Zurück zu Katharina II., die mit ihren erfolgreichen Feldzügen das Russische Reich vergrößerte und für die fast menschenleeren Ländereien der Südukraine neue Siedler suchen mußte. Da kam ihr die Politik Friedrich II. zu Hilfe. Nachdem Westpreußen 1772 zum Königreich Preußen kam, wurden durch Friedrich II. besonders die Untertanen gefördert, die seine Armee vergrößern konnten. Die Danziger Mennoniten, die aus Glaubensgründen den Wehrdienst ablehnten, gehörten nicht dazu. Katharina dagegen sicherte den Abgesandten der westpreußischen Mennoniten im Mai 1787 Unterstützung der Krone und eine Reihe Privilegien zu, wenn sie die südrussischen Gebiete besiedeln, die Katharina II. in den Türkenkriegen erobert hat.
So reisten die ersten 260 mennonitischen Familien aus dem Danziger Gebiet über Riga nach Kiew und auf dem Dnepr nach Südrussland. Sie bekamen im Frühjahr 1789 nahe der Stadt Aleksandrovsk (ab 1921 Saporoschie) Land zugewiesen, wo sie in den Folgejahren 19 Kolonien mit dem Zentrum Chotiza gründeten. Eine davon erhielt den schönen Namen Rosental. Laut Gründungsregister gehörte die Familie THIESSEN zu den Mitbegründern dieser Kolonie, die russisch auch „Kanzerowka“ genannt wurde. Einer ihrer Nachkommen, J.G. Thiessen, betrieb später in Rosental ein Fotogeschäft.

Postkarte von J.G. Thiessen aus Rosental mit rückseitigem Poststempel der benachbarten mennonitischen Kolonie Chortiza vom 14.6.09 nach Leipzig.
Aus dem Chortizaer Gebiet stammt auch eine kleine philatelistische Rarität der Neuzeit. Eine Postkarte von deutschen Siedlern aus der kleinen Kolonie Schönwiese ist mit einer seltenen halbierten Sondermarke frankiert. Deren Ursache war die Portoerhöhung vom 1.6.1931. Man benötigte plötzlich für die vorhandenen 5-Kopeken-Postkarten 5 Kopeken Zusatzfrankatur, die nachweislich in der kleinen Bahnstation Alexandrovsk nicht verfügbar waren. So behalf man sich durch Halbierung der vorhandenen 10-Kopeken-Marken.

Postkarte vom 31.VII.1931 aus Schönwiese gestempelt Alexandrovsk / Voksal 1.8.31 nach Berdyansk (3.8.31). frankiert mit einer halbierten 10 Kopeken-Marke zum 25. Jahrestag der 1905-er Revolution (Mi.-Nr. 396A). Auf der Rückseite in gutem deutsch Nachrichten an Verwandte.
Schließen wir den Kreis um den Brief Katharinas der Großen mit dem Verweis auf ihren Sohn Zar Paul I., der sich weiterhin darum bemühte, die von seiner Mutter zugewonnenen südrussischen Gebiete zu besiedeln.

Probedruck aus der Markenserie zum 300. Jubiläum der Romanov-Dynastie mit dem Bildnis Paul I.
Er setzte die Werbung deutscher Einwanderer fort, in dem er im Jahre 1800 den pazifistischen Mennoniten das so wichtige Privileg der Befreiung vom Wehrdienst „auf ewige Zeiten“ verkündete. Dies förderte nochmals den Zuzug vieler westpreußischer Mennoniten. In der Folge entstanden viele deutsche Siedlungen am Fluss Molotschnaja (Milchfluss) nördlich des Asowschen Meeres.