Dr. Wolfgang Leupold

Prüfer für russische und sowjetische Philatelie

HALBIERUNGEN – echter Bedarf oder philatelistische Mache

Deutsche Philatelisten denken bei dem Wort „Halbierung“ wohl zuerst an das so genannte Vineta-Provisorium. Wegen Mangels an 3-Pfennig-Marken für den Versand einer Zeitung in die Heimat halbierte im April 1901 der Zahlmeister des Kreuzers SMS „Vineta“ 5-Pfennig-Germaniamarken und versah sie mit dem Handstempelaufdruck  „3 PF“.

Da die Reichspost im Falle von Markenmangel Barfreimachung vorsah, wurde diese Aushilfsausgabe amtlich nicht anerkannt. Deshalb sehen viele Sammler und Experten diese Halbierung als Machwerk an, andere betrachten sie als Rarität und geben relativ viel Geld dafür aus.  

Aufdruckprovisorien gibt es in unserem Sammelgebiet recht viele, denken wir nur an die Vielzahl verschiedener „RUB“- Aufdrucke. Die Anzahl bekannter Halbierungen ist jedoch recht überschaubar.

Nicht selten finden wir halbierte Briefmarken auf Belegen der Bürgerkriegszeit 1918 – 1921. Abbildung 1 stammt aus einem Auktionskatalog von 2019 und zeigt einen Orts-Einschreibbrief aus GOMEL. Hier ist auf den ersten Blick erkennbar, daß es sich um ein Machwerk handelt. Die durch Halbierung der 10 Kopeken-Marke erzeugte 5 Kopeken-Marke hätte problemlos durch das Verkleben einer weiteren 4 Kop.- und 1 Kop.-Marke kompensiert werden können. Ich kann leider das Stempeldatum nicht genau erkennen. Es könnte sein, daß der Brief aus dem Zeitraum stammt, als das Porto eines Ortseinschreibbriefes 40 Kopeken betrug; dann wäre die Halbierung völlig überflüssig und nur als eine Art Vignette zu betrachten. Fazit: Für so einen Brief sollte man KEIN Geld ausgeben.  

Abb. 1: Zweifelhafter Ortseinschreibbrief aus Gomel mit einer als MACHWERK zu betrachtenden Halbierung.

Relativ oft werden Postkarten mit halbierten 10 Kopeken-Marken angeboten. Stammen sie aus der Zeit vor dem 28.2.1918, so sind sie zumindest portogerecht. Die in Abb. 2 vorgestellte Karte ist aber am 2.9.18 in Miropolje / Kursker Gebiet gestempelt. Seit 28.2.1918 betrug der Postkartentarif aber bereits 20 Kopeken. Es hätten also eigentlich zwei 10 Kop.-Marken und nicht eine halbe verklebt werden müssen. Adressiert ist die Karte an eine Aktiengesellschaft in Belaja-Sudschanskaja / Kursker Gebiet. Vom gleichen Absender mit gleichen Stempeldaten kenne ich eine an die „Handelsindustrie“ im gfleichen Ort (??) Der Text auf der Rückseite erzählt irgend welche Märchen. Fazit: Die Karten dieser Machart mit der Halbierung haben nichts mit Bedarf zu tun, sind von einem geschäftstüchtigen Sammler / Händler gemacht und möglicherweise nicht einmal postalisch befördert.  Dafür sollte man kein Geld ausgeben!“

Abb. 2: Zweifelhafte Halbierung der 10 Kopeken-Marke (Mi.-Nr. 69A) auf einer Postkarte vom 2.9.18, als das Postkartenporto bereits 20 Kopeken betrug.

Ganz anders verhält es sich mit dem in Abbildung 3 vorgestellten Feldpostbrief. Die hier verklebte Halbierung einer 20 Kopeken-Marke wertet als (seit 10.3.1920) hundertfach aufgewertete 10 Kopeken-Marke und deckt den bis 14.6.1921 geltenden Tarif eines Einschreibbriefes in Höhe von 10 Rubel ab. Man muß noch berücksichtigen, daß zu dieser Zeit für einfache Briefe und Karten und normale Feldpost Portofreiheit herrschte und man in einigen Feldpostämtern möglicherweise gar keine Briefmarken vorrätig hatte.  Diese Halbierung auf einem Bedarfsbrief aus der Bürgerkriegszeit widerspiegelt den tatsächlichen Mangel an notwendigen 10 Kopeken-Marken; ich  betrachte den Brief als kleine Rarität.

Interessanter Weise zeigte der bekannte Moskauer Sammler I. Gorski in seinem Großgold-Exponat einen Brief mit einer halbierten 20 Kop. -Marke vom gleichen Feldpostamt mit Stempel vom 2.7.21. 

Abb. 3: Vorder- und Rückseite eines eingeschriebenen Feldpostbriefes vom 8.6.21 vom 135. Schützenregiment der 15. Siwaschsker Schützendivision nach Voronesch (30.6.21). Mit dem seltenen großen Stempel der Postkontrolle (mit drei Dreiecken) des Feldpostkontors Nr. 33. Zur Frankatur wurde eine halbierte 20 Kopeken-Marke (Mi.-Nr. 72 A) als 10 Kopeken-Marke verwendet.

Die in Abb. 4 vorgestellte Halbierung einer        1 Rubel-Marke sieht sehr nach einem echten  Bedarfsstück aus. Den Ort konnte ich zwar noch nicht entziffern, aber im unteren Halbkreis des Stempels das Wort „ВОЛ. ПР.“. Es handelt sich also um den Stempel einer Semstvo-Verwaltung, bei der möglicherweise Markenmangel herrschte. Die einzelne Briefrückseite könnte zu einem Brief gehört haben, bei dem die für den 15.9.1918 angekündigte Portosenkung für Inland-Einschreibbriefe von 1,05 Rubel auf 50 Kopeken vorweg genommen wurde, was wiederholt vorkommt.   

Abb. 4: Briefrückseite mit einer halbierten         1-Rubel-Marke (Mi.-Nr. 77B) gestempelt  „… ВОЛ. ПР.“  mit Ankunftsstempel Odessa 28.8.18 mit handschriftlichem Vermerk „Postgebühr 50 Kop. bezahlt. Leiter der Abteilung“ und Unterschrift.

Im bereits erwähnten Exponat von I. Gorski ist auch der Brief aus Abb. 5 zu sehen. Das nötige 250-Rubel-Porto eines einfachen Inlandbriefes ist hier mit 2 ½ Marken zu 100 Rubel verklebt. Der Brief wurde auf einer relativ kleinen Poststation aufgegeben, bei der möglicherweise tatsächlich die 250-Rubel-Marken ausgegangen waren und man half sich so mit Halbierungen der 100-Rub.-Marken. Ein interessanter Brief!

Abb. 5: Einfacher Brief aus Tonnelnaya (7.1.22) nach Novorossiisk (17.1.22). Die Frankatur besteht aus einem Dreierstreifen der 100 Rubel-Marke (Mi.-Nr. 156), wovon eine Marke diagonal halbiert wurde. 

Anders verhält es sich mit dem im gleichen Exponat ausgestellten Ortsbrief aus Moskau von Abb. 6 mit einer halbierten 500-Rubel-Marke. Er wurde unbeanstandet postalisch befördert, auch wenn es für jedes Moskauer Postamt sicher kein großes Problem darstellte, sich mit den nötigen Postwertzeichen einzudecken. Viel entscheidender  ist aber die Tatsache, daß der Tarif eines Ortsbriefes vom 15.8.21 bis zum 31.1.22 nicht 250 Rubel, sondern 100 Rubel betrug. Bedarfsmäßig hätte man also eine 200 Rubel-Marke halbieren müssen. Das heißt, die halbe 500-Rubel-Marke entspricht nicht dem Bedarf, der Brief ist wohl eher das Resultat eines findigen Philatelisten. Daß ich mit meinen Überlegungen nicht ganz daneben liege, bestätigt die Tatsache, daß dieser Brief seit Monaten in einem Internetladen angeboten wird, ohne einen Käufer zu finden.

Abb. 6: Ortsbrief mit Stempel Moskau 21.1.22 und rückseitigem Maschinenstempel Moskau 23.1.22, frankiert mit einer halbierten 500 Rubel-Marke (Mi.-Nr. 160)

Eine nachweislich bedarfsmäßig halbierte Tauschkontrollmarke wurde auf dem Brief auf Abb. 7 verklebt. Anton Shatilo bestätigt in seinem Artikel über die vierte Ausgabe der Tauschkontrollmarken im Philatelistischen Journal RUS Nr.10/2015 an Hand detaillierter Analysen, daß es in der Moskauer Tausch-Kontrollstelle im Oktober 1928 zu Mangel an 5 Kopeken-Marken kam, die für Tauschmaterial bis zu einem Wert von 200 Franken nach dem Yvert-Katalog auf die Tauschbriefe zu kleben waren. Deshalb entschloss man sich, die zur Genüge vorhandenen 10 Kopeken Tausch-Kontrollmarken zu halbieren. Ich hatte das Glück, den hier vorgestellten Brief unlängst zu attestieren. Er ist einer von vier Briefen aus den Oktobertagen 1928, die bis heute bekannt sind. – Eine wirkliche Rarität.  

Abb. 7: Vorder- und Rückseite eines eingeschriebenen Briefes, am 7.10.28 von der Moskauer Kontrollstelle für den Auslandstausch  nach Wien (9.10.28). Der Brief trägt rückseitig eine diagonal halbierte 10 Kopeken Tausch-Kontrollmarke, die hier als 5 Kopeken TauschKontrollmarke verwendet wurde.  

Zum Abschluss möchte ich mit Abb. 8 noch eine  Halbierung vorstellen, die ich erst vor wenigen Wochen erworben habe. Diese KLarte  wurde vor über 20 Jahren schon von Andrew Cronin und Robert Taylor im Post-Rider Nr. 43 vorgestellt.

Per 1. Juni 1931 war das Postkartenporto von 5- auf 10 Kopeken erhöht worden. Deshalb benötigte man für die in Umlauf befindlichen         5 Kopeken-Postkarten 5 Kopeken Zusatzfrankatur. In der kleinen Bahnpostabteilung von Aleksandrovsk hatte man offensichtlich keine 5 Kopeken-Marken, dafür aber genügend 10 Kopeken-Marken der Michel-Nr. 396A, welche man bei Bedarf halbierte. Zwei weitere Ganzsachen-Postkarten mit dieser Halbierung sind mit dem Poststempel des benachbarten Postamtes Chortiza literaturbekannt. Interessanterweise ist diese Halbierung sogar im Michel Sowjetunion Spezial 2017 unter Nummer 396H katalogisiert, nur der Preis entspricht nicht ganz der Realität.    

Abb. 8: Vorder- und Rückseite einer Postkarte vom 31.VII.31 aus Schönwiese gestempelt  Alexandrovsk / Voksal 1.8.31 nach Berdyansk (3.8.31). frankiert mit einer halbierten 10 Kopeken-Marke zum 25. Jahrestag der 1905-er Revolution (Mi.-Nr. 396A). Auf der Rückseite in gutem deutsch Nachrichten an Verwandte.

An dieser Halbierung ist noch besonders interessant, daß die bekannten Karten aus Kolonien stammen, die von deutschen Auswanderern Ende des 18. Jahrhunderts gegründet wurden.   

Mit diesem Artikel wurde hoffentlich sichtbar, daß erst umfangreichere postgeschichtliche Recherchen sichtbar machen, ob es sich bei Briefen oder Karten mit halbierten Marken um tatsächliche Bedarfsstücke handelt oder um philatelistisch beeinflusste Machwerke.

(Die Belege auf den Abbildungen 3, 4, 8 sind im Besitz des Autors)